Viele Paare kennen das: Ein alltägliches Gespräch kippt – Vorwurf, Rückzug, Schweigen. Was bleibt, ist das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Als Paartherapeut in München-Schwabing begleite ich Paare genau an diesem Punkt: Wir machen sichtbar, was unter der Oberfläche wirkt – alte Verletzungen (vor der Beziehung) und Verletzungen in der Beziehung. Erst wenn beides Raum bekommt, wird Kommunikation wieder Beziehung statt Verteidigung.

1. Die Dynamik hinter verletzenden Gesprächen
Wenn Kommunikation schmerzt, ist es selten „nur“ der Inhalt. Hinter Sätzen wie „Du hörst mir nie zu“ oder „Du reagierst immer so hart“ liegen oft Grundgefühle: nicht gesehen, nicht wichtig, unsicher. Worte werden dann zur Abwehr: Angriff, Ironie, Rückzug, Schweigen. Kommunikation bildet die Beziehungsdynamik ab – nicht nur Argumente.
2. Alte und neue Verletzungen – beides wirkt
- Vorbeziehungs-Erfahrungen: frühe Bindungsmuster (Zurückweisung, Überforderung, Beschämung) prägen, wie Nähe/Distanz erlebt wird.
- Beziehungsinterne Verletzungen: Enttäuschungen, verpasste Reparaturen, fehlende Wertschätzung, ausbleibende körperliche Nähe.
In Krisen triggert das eine das andere. Wer früher gelernt hat, sich zu schützen, zieht sich schneller zurück. Wer Angst hat, übersehen zu werden, reagiert sensibler auf Distanz. Beide handeln aus Schutz – und verletzen sich dabei.
3. Der Kreislauf gegenseitiger Verletzung (nach Watzlawick)
Sie: „Du redest nicht mit mir.“ → Bedürfnis nach Kontakt
Er: „Egal, was ich sage, es ist falsch.“ → Bedürfnis nach Sicherheit
Er schweigt → bestätigt ihr „Ich bin dir nicht wichtig“ → Sie erhöht den Druck → bestätigt sein „Ich bin hier nie richtig“ …
Ähnlich bei körperlicher Nähe: „Weil du dich zurückziehst, bemühe ich mich weniger.“ – „Weil du dich weniger bemühst, ziehe ich mich zurück.“ So stabilisiert sich der Kreislauf – niemand ist „schuld“, beide sind gefangen.
4. Unter dem Vorwurf: das unerhörte Bedürfnis
Vorwürfe sind oft verdeckte Bitten. Aus „Du kümmerst dich nie“ wird: „Ich brauche Zuwendung.“ Aus „Du bist immer so hart“ wird: „Ich brauche Sicherheit, um mich zu öffnen.“ Wenn Paare lernen, Bedürfnisse zu benennen, entsteht Bewegung: statt Schuld → Kontakt.
5. Verantwortung statt Schuld – warum das den Ton verändert
Verantwortung heißt: „Ich achte auf meinen Anteil – meine Reaktion, meine Schutzbewegung, meine Bitte.“ Ein Satz wie „Ich ziehe mich zurück, wenn ich mich überfordert fühle“ wirkt beziehungsbildend – anders als „Du lässt mich immer alleine“. Verantwortung ist keine Selbstanklage, sondern Beziehungskompetenz.

6. Verlangsamen: Pausen, bevor Verletzung entsteht
- Stopp: „Ich merke, es wird heikel – kurze Pause.“
- Orientieren: Atmen, Körper spüren (Füße, Sitz, Schulter), Blick im Raum sammeln.
- Benennen: „Ich bin gerade getroffen/verunsichert und will nicht angreifen.“
- Bitten: „Kannst du langsam sagen, was dir wichtig ist?“

7. Vertrauen neu aufbauen: kleine neue Erfahrungen
- Eine echte Entschuldigung – ohne Gegenvorwurf.
- Ein Gespräch, das nicht eskaliert.
- Ein Zeichen von Wertschätzung (Wort, Geste, Berührung), das nichts fordert.
Jede kleine Abweichung vom Muster schreibt die gemeinsame Geschichte um.
8. „Wir hören uns ganz anders zu“ – was sich wirklich verändert
Paare beschreiben den Wendepunkt so: „Wir hören uns ganz anders zu.“ Gemeint ist: Sie verstehen besser, was in ihnen und zwischen ihnen geschieht. Das ist keine Technik, sondern eine Haltung: langsamer sprechen, klarer benennen, ehrlicher zuhören – auch dann, wenn es unangenehm ist.
Fazit: Signal für Veränderung der Beziehungsdynamik
Dass Gespräche weh tun, heißt nicht automatisch, dass Liebe vorbei ist. Es zeigt, dass sich etwas in der Dynamik verändert hat, das Aufmerksamkeit braucht. Manchmal wirken alte Wunden, manchmal entstehen Verletzungen im Laufe der Beziehung – durch verpasste Reparaturen, abnehmende Nähe, Abwertungen oder schleichende Distanz. Kommunikation wird dann destruktiv; nicht immer, weil man Kontakt halten will – oft, weil Angst, Schutz oder Attributionen den Kontakt überlagern. Manchmal steht man auch schon im Rückzug.
Worauf es ankommt: die Dynamik genau ansehen und verändern – Verhalten, Sprechen, Zuhören, Nähe und Rückzug. Verletzung zeigt, dass etwas fehlt: Sicherheit, Lebendigkeit, gegenseitige Wertschätzung. Heilung kann entstehen, wenn Verständnis füreinander wächst und Kommunikation wieder zum Ort wird, an dem man sich zeigt, statt sich zu verteidigen. Dann wird Vertrauen wieder möglich – und Nähe (auch körperliche) kann erneut Ausdruck von Zuwendung sein.
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FAQ
Woran merke ich, dass wir im Kreislauf der Verletzung stecken?
Wiederkehrende Muster: Vorwurf → Rückzug → Schweigen → neuer Vorwurf. Häufige Fehlzuschreibungen statt Bedürfnisbenennung („Ich brauche Sicherheit/Respekt/Kontakt“).
Hilft es, „besser“ zu kommunizieren?
Technik allein reicht selten. Wirksam wird Kommunikation, wenn Bedürfnisse benannt, Verantwortung übernommen und Gespräche verlangsamt werden. Daraus entsteht eine neue Haltung – nicht nur neue Sätze.
Was, wenn alte Verletzungen immer wieder hochkommen?
Struktur hilft: kurze Dosen Dialog, Pausen, klare Regeln (z. B. kein Klärgespräch spät nachts), verlässliche Reparaturen und ggf. professionelle Begleitung.
Wie beginnt Paartherapie konkret?
Mit Standortbestimmung: Muster sichtbar machen, Bedürfnisse klären, sichere Gesprächsformate vereinbaren. Danach kleine, wiederholbare Schritte, die Vertrauen aufbauen.
Wann ist professionelle Hilfe sinnvoll?
Wenn Gespräche regelmäßig eskalieren, Nähe dauerhaft abnimmt, Untreue/Traumata im Raum stehen oder Kinder mitbetroffen sind.